21. März 2020

Gedanken zu einem Bibeltext in Zeiten der Corona-Krise

Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit  (2. Timotheusbrief 1,7).

Genau, das ist es: Nicht den Geist der Furcht!

Naja, vielleicht sagt sich das allzu leicht, wenn  der Frühling beginnt, wenn in den vergangenen sonnigen Tagen sich Menschen, die plötzlich Zeit haben, draussen treffen, am Maschsee flanieren oder im Eiscafé sitzen. Unwirklich der Gedanke, dass das die Krise sein soll, von der die Bundes­kanzlerin in ihrer Ansprache an die Bürgerinnen und  Bürger sagte, dass es wohl die größte Heraus­forderung seit dem 2. Weltkrieg sei. Unwirklich, dass Gefahr und Tod uns so nah sein können, wo sich doch die meisten gesund und munter durch die Strassen bewegen.

Aber dann holt uns die Realität schnell ein, wenn wir sehen, wie in den Supermärkten, die uns jahrzehntelang zuverlässig mit Waren belieferten, plötzlich leere Regale gähnen und wie voll es in den Gängen war – bis die Märkte anfingen, den Strom der Eintretenden zu regulieren.

Menschen hamstern Sachen. Toilettenpapier, Nudeln, neuerdings auch Waschmittel, Seifen…

Der Geist der Furcht. Da hilft es leider kaum, dass uns immer wieder versichert wird: Es wird keine Engpässe geben, die Versorgung ist gesichert. Der Geist der Furcht lässt das Befürchtete schon Realität sein.

Anderswo wächst diese Furcht auf ganz realem Grund: Unternehmen müssen in Kurzarbeit treten, weil Materialien nicht mehr zugeliefert werden, Gastwirten fehlen die Kunden, Betriebe sind nicht mehr zahlungsfähig…

Hat der Geist der Furcht nicht doch Recht?

Es gibt Grund, sich Sorgen zu machen. Große Sorgen. Wegen fehlender materieller Sicherheiten, wegen der Gefahr, plötzlich ohne alles dazustehen. Und Sorgen machen wir uns jetzt auch wegen der Sache selbst: eine grippeähnliche Erkrankung, deren Symptome sich bei manchen Menschen viel deutlicher ausbilden, als wir es von der jährlichen Grippewelle her kennen und die vermutlich zu mehr schweren Verläufen, sogar zu Todesfällen führen kann, wenn jemand ihr keine Wider­standskräfte mehr entgegenzusetzen vermag.

Der Geist der Furcht ist ein Teil dieser Welt, in der globale Lieferketten zusammenbrechen, soziale und wirtschaftliche Sicherheiten sich auflösen und auf einmal fraglich wird, was lange selbstverständlich war. Es ist menschlich, sich zu fürchten. Und wir fühlen uns, wenn wir nicht ge­rade mit einem Menschen darüber offen sprechen können, manchmal ganz schön einsam da­mit.

Das ist nicht gut, besonders für die allein Lebenden ist es nicht gut und auch nicht für die Kinder, die anfangen, sich um uns Erwachsene zu sorgen. Dabei sollte es doch umgekehrt sein.

In vielen Familien, Freundes- und Bekanntenkreisen wächst das Bedürfnis, sich auszutauschen. Wer ein Handy bei sich hat, kommt davon oft kaum los. In Chatgruppen, Telefonaten oder per E-Mail versichern wir uns gegenseitig, dass es uns (noch) gut geht, dass wir aneinander denken, dass wir einander wichtig sind. Der Geist der Gemeinschaft oder zumindest des Gemeinsinns - in einer Zeit, in der wir nicht oder nur mit großer Vorsicht einander nah sein können.

„Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit“: Furcht und Angst spielen eine Rolle in den Worten der Bibel. Und: sie werden nicht heruntergespielt. Aber die Bibel weiß davon zu erzählen, dass es etwas gibt, was sich dieser Furcht entgegenstellen kann. Der Geist  der Gemeinschaft ist so einer. Mit dem Geist der Liebe übrigens sehr eng verwandt. Und der Geist der Kraft, der weiß sehr wohl, dass es Zeiten gibt, die uns alles abverlangen, Aufgaben, die richtig schlauchen. Wir geraten an die Grenzen unserer Kräfte. Wir möchten aufgeben oder fliehen. Oder wir entscheiden uns, der Herausforderung zu begegnen, die Situation zu gestalten. Das Seltsame ist: Wir erfahren erst dann, dass sich andere, neue Kraftquellen auftun.

In meiner Gemeinde hat ein Kirchenvorsteher eine Corona-Hilfsgruppe organisiert. Sie soll Menschen, die Hilfe brauchen, auf praktische Weise unterstützen. Und sie hilft uns ein Stück weit aus unserer eigenen Hilflosig­keit heraus. Die Situation, die sich uns stellt, ist die eine Sache. Die andere ist, wie wir uns dazu verhalten. Der Geist der Besonnenheit weitet dazu den Blick, hilft, Handlungsoptionen auszuloten. Und ich bin ziemlich sicher: wenn wir uns auf den Weg machen, wenn wir uns in einer Krise mehr als bisher aufeinander zubewegen, dann wird jeder von uns erfahren können: Ich bin nicht allein mit meinen Sorgen. Auch deswegen nicht, weil da einer ist, der etwas von seinem Geist in mein Le­ben, Denken, Fühlen hineinfließen lässt. Mitten in all diesem menschlichen Tun. „Es kommt ein Geist in meinen Sinn, will mich durchs Leben tragen…“ hatte Hanns Dieter Hüsch einst in seinem „Psalm“ formuliert – und schrieb darin von einem Geist, der die Angst vertreibt, der befreit und der sogar den Gedanken an den Tod aushält.

Ob wir das dann auch schaffen, wenn es tatsächlich einmal sein muss? Wo immer die Bibel von dem Geist spricht, an dem Gott uns teilhaben lässt, da meint sie ja auch: Gott ist einer, der die Menschen nicht sich selbst und ihren Fähigkeiten überlässt. Wir sind den Herausforderungen, die uns begegnen, nie  hilflos ausgeliefert. Ich glaube, da, wo wir Schritte wagen, bekommen wir auch die Kraft, Schritte zu tun. Da, wo wir uns aufeinander zubewegen, bekommen wir vom anderen auch Rückmel­dung. Da, wo wir uns auf Gott zubewegen und nach seiner Kraft suchen, bekommen wir seine Rückenstärkung. Sehr wahrscheinlich nicht auf übernatürliche, fabelhafte Weise. Aber so, dass ein Geist in unseren Sinn kommt, ein Gedanke  uns beflügelt, ein Wort eines anderen uns gut tut. Sehr wahrscheinlich auf sehr menschliche Weise. Eben so, wie wir diesen Gott seit biblischen Zeiten im­mer schon kennenlernen durften: mit menschlichem Antlitz.

 

Elke Pankratz-Lehnhoff, Pastorin in den Bördedörfern